Fast ein sizilianischer Morgen oder Spaziergang an der Havel

Havel, Heidrun Adriana Bomke

Samstag, 18.9.2021, 11 Uhr

Fast ein sizilianischer Morgen oder Spaziergang an der Havel

Samstagmorgen. Ein Septembermorgen. Ich wache früh auf. Um 7 Uhr gehe ich aus dem Haus zum Spaziergang an der Havel. Immer am Wasser entlang bis zum kleinen Hafen in Kladow möchte ich spazieren. Drei Kilometer oder vier in der frischgrauen Morgenluft. Gestern blieb mein Rad über Nacht dort, da ich nicht mehr zurückkam, jedenfalls nicht auf dem Wasserweg. Letzte Fähre in Wannsee war weg. Also ging es mit der S-Bahn wieder nach Charlottenburg, von dort mit dem Bus X34 bis zum Breitehornweg. Einen Bogen gefahren. Gut geschlafen und wieder aufgewacht.

Nun soll mein weißes Damenrad nicht zu lange warten. Wir sind jeden Tag miteinander unterwegs. Ich laufe also froh vor mich hin. Hier an der Havel. Nicht mehr am Meer … Immerhin Wasser, algengrün am Rand, das man es in Scheiben schneiden könnte und irrsinnige Gebilde ihre Grimassen ziehen. Es schwappt so hin und her und rechts neben mir die vielen kleinen Gartenpieperlauben der Berliner mit duftenden Rosen und Hundsrosen und Dahlien und überhaupt mag ich diesen Gartenwasserweg. Ich komme an die Stelle mit dem weiten Blick.

Aaaahhhhhhhhhhhhhh ………………….! Warum ist mir auch immer so enge ………………………!

Hier öffnet sich das Lebenstor und mein Herz hüpft ins Weite. Fast jeden Morgen halte ich hier an und spüre mich ins Lebendige … Wenn es solche Orte nicht gäbe … wäre ich schon wieder hier weg. Doch es gibt sie. Sie finden mich. Die Natur ist meine Begleiterin oder ich bin ihre stetige Besucherin. So sind wir jetzt eben hier. Jedenfalls für ein Weilchen. Seit zwei Jahren habe ich meine Zelte an der Havel aufgeschlagen, am Fluss im Südwesten Berlins. Ein Fluss ist kein Meer. Doch immerhin etwas Fließendes mit Möglichkeit zum Plätschern.

Zum plätschernden Leben, das mir gegeben …
Also gehe ich weiter. Setze mich nach einem Weilchen auf einen Baumstamm. Wie oft sehe ich Baumgestalten, die mich grüßen. Heute ist da der kleine Wegetroll mit dem verschmitzten Lachen. Und rechts oben der alte Gutspark und das schöne Gutshaus, wo mir der Kellner letztens erklärte, dass der Filterkaffee 3,10 € koste, weil ich ja nicht in irgendeiner Berliner Seitenstraße wäre. Das habe ich natürlich eingesehen! Schon bin ich in der Imchenallee, wo ich für sieben Monate erlebte so manches Weh … doch das ist vergangen und vor einem Jahr hat etwas Neues angefangen. Ich grüße Mascha, Mascha Kaleko, der hier ein Weg gewidmet. Sie war viele Sommer in Kladow, eh sie das Land verließ, weil es hier nicht mehr lebbar war für sie. Naja. Sie hat recht, die große Dichterin: Manchmal sollte man seine Sieben Sachen Fortrollen aus diesen glatten Geleisen … Ich rolle für heute weiter zu meinem Ziel, dem kleinen Hafen von Kladow und setze mich auf eine morgentaufrische Banke. Betrachte die Havel, die hier Wannsee heißt und die Vogelwelt vor mir und mittendrin. Gänse und ihre nun schon großen Jungvögel. Und da kommen von der Vogelinsel gegenüber Schwäne geschwommen. Ein weißer Mutterschwan wohl und vier graue, schon große Jungschwäne. Sie kommen gemeinsam und kurz vor dem Ufer trennen sie sich. Der weiße Schwan dreht nach links ab, ruft etwas. Es ist wie ein abweisendes Grunzen. Die Jungen schwimmen nach rechts weg und piepsen sich eins. Und wie einer da sein Federkleid hebt, da sehe ich es: es ist ganz weiß darunter ! Sie sind schon da, die weißen Federn und werden bald zum Vorschein kommen. So manch geheimnisvoll Verborgenes kommt ans Licht. Auch hier. So schwimmen sie davon und wissen nichts davon, wie sie aussehen. Es erscheint mir wie ein Flüggewerden. Eine Generalprobe. Als ich schon am herbstnassen Tisch sitze im Freien, bei „Emma“ oder wie das heißt, vielleicht auch „Otto“, da ist die Schwänin schon fast wieder bei ihrer jungen Grauschwanjugendgang und ruft sie zur Räson. Nur nicht zu flügge!

Havel,Kladow,Heidrun Adriana Bomke
Schwan am Havelufer

Ich hingegen bekomme charmant mein Croissant mit Café Crema von einem Südländer. Das Gartenlokal hat noch gar nicht offen, erst um 9 Uhr. Doch das macht nichts. Voilà! 3,40€. Ich habe nur drei Euro klein, ansonsten 50. Va bene, tre Euro. Die kleinen Spatzen hüpfen auf dem Tisch um mich herum. Ein Krümelchen hier und eins dort.
Ciao ciao, ciao … Das hätte auch bei Peppe in der „Piccolo bar“ sein können in Punta Secca oder in Ortigia …!
Und mein Rad freut sich auch. Wir fahren los mit wunderbar italienischem Frühstück im Bauch.

Ortigia, syrakus, Heidrun Adriana Bomke
Frühstück in Ortigia an einem Regentag

Plötzlich … vielleicht ein Anfang?

Frühing_Anfang_Heidrun Adriana Bomke_Kladow

P l ö t z l i c h

… vielleicht ein Anfang?

Die ersten Veilchen pflanzen auf dem Balkon
sie lange lieb betrachten und
dem lustigen Lied der Morgengäste lächelnd lauschen

Alle Samen
die weitgereisten
Plötzlich aus den Koffern packen
als hätten sie es eilig

Gemeinsam mit ihnen warten
warten auf die wärmende Erde
Hoffnungsfroh sie dann hineinlegen
wie in ein träumendes Frühlingsbett

Vielleicht

genau das

Plötzlich

der Anfang!

© Heidrun Adriana Bomke · 10. April 2021, Breitehornweg Berlin


Liebe Leserin und lieber Leser,

ich möchte diesem Gedicht “Plötzlich … vielleicht ein Anfang”, heute Morgen frisch geboren und jetzt in die Welt geschickt, einen kleinen Kommentar mitgeben.
Jede und jeder von euch liest es auf seine Weise, bleibt an diesem oder vielleicht jenem Wortbild hängen oder hat eine Situation vor Augen, wird von einem Gefühl berührt – oder auch nicht -, spürt “etwas”. Was wohl?

Ich erfahre es meist nicht. Und das macht auch nichts. “Gedichte sind magische Gebrauchsartikel”, sagte meine liebe Vorgängerin Hilde Domin, deren Magie sich vor allem bei und durch den Leser entfaltet. Sie sind “zweckfrei” wie Liebe. “Es” geschieht einfach. Und das ist das ganz Wunderbare! Diese Worte geschehen auch mir einfach so! Oft im Betrachten, in einer schwebenden Aufmerksamkeit, die wenig mit dem funktionierenden Alltagsbewusstsein zu tun hat.

Heute möchte ich es einmal kurz beschreiben, wie es zu mir kam, das Gedicht.
Beim Aufwachen, ich schaute auf meinen Balkon, sah ich zuerst die kleinen Veilchen in den Kästen und spürte etwas ganz Zartes, Liebevolles, das mehr war als nur eine augenblickliche, kleine Freude. Ganz in der Tiefe kam das Wort-Gefühl “Anfang”. Waren/sind diese vor kurzem eingepflanzten Veilchen ein Seelenbild des Anfangs für mich? Des Anfangens hier in dieser kleinen Wohnung, meiner ersten nach zehn Jahren in Deutschland überhaupt wieder? Ein poetisches Zeichen des Beginnens in/an diesem Fleckchen Berliner Erde, des Ankommens in Deutschland wieder nach so vielen Jahren in meinem geliebten Sizilien und unterwegs? Zehn Jahre sind vergangen und die kleinen Veilchen und die Vögel und die Samen, die mir wirklich aus meinem Reisegepäck zufielen, angesammelt da und dort und nie ausgesät, sprechen sie mir aus dem Herzen, sanft, vorsichtig, doch plötzlich wahrnehmbar?

Das berührte mein Herz und ließ die weiteren Worte fließen … Die Magie der Poesie … Ich lausche …
“Plötzlich – vielleicht ein Anfang?”

Und vielleicht, wenn die Worte zu dir, zu euch kommen, lauscht ihr ihnen auch einmal nach.
Sie sind voller Zauber und sie sind Heimat, können das “Haus unserer Erfahrungen” sein. Es ist wahrhaft tief wohltuend und verbindend, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Viel Freude!

Eure Heidrun Adriana

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Scham oder Die letzte Behausung

Scham, Heidrun Adriana Bomke

Scham oder Die letzte Behausung

Heute, am Karfreitag, möchten die Worte hinaus. Sie haben sich in mir angesammelt. Eins nach dem anderen. Beiläufig. Ungeordnet. Hoffend. Erschrocken.
Am Ende steht Scham.

Es war einer der kalten Februartage, als ich durch den lichten Wald vom Breitehornweg bis nach  Havelhöhe am südwestlichen Rande Berlins ging. Das tat ich gerne. Meist an der Havel entlang. Da war der Weg gesperrt und nun ging ich durch den Winterwald. Alte Bäume. Gehölz. Weiche, weiße Pfade. Kurz bevor ich nach rechts auf den schmalen Asphaltweg ging, sah ich auf dem Hügel zwischen Bäumen ein Zelt. Ich wunderte mich und erschrak zugleich. War es vergessen? So sah es nicht aus. Ich dachte an die Frau, die hier seit Monaten durch die Gegend ging, wohl obdachlos. Vor ihr ängstigte ich mich, da sie aggressiv war. Immer in einer anderen Welt voller Verbrechen und Anklage an uns alle. Was war ihr geschehen? Wohnte sie vielleicht dort? Manchmal erschien sie mir wie eine Warnung. Wovor?

Ich ging meiner Wege. Wenige Tage später hörte ich die Rufe von Kranichen aus der klirrenden Kälte. Ich fuhr zusammen. Was machten sie hier? Ihre Rufe klangen jämmerlich. Hilferufe? Ich betete für sie und dachte beiläufig wieder an das Zelt. Suchte dort etwa auch jemand eine Überwinterung? Eine Behausung? Mein Herz mochte es nicht glauben. Nicht glauben auch, dass ich Kraniche gehört. Diese wunderbaren Geschöpfe in diesem Frost!

Dann kam der Tag, als ich am Zelt eine Gestalt sah. Ich spazierte in der späten Morgensonne durch die glitzernde Welt und da sah ich eine mit vielen Sachen bedeckte Gestalt. Den runden Rücken. Ihr Blick war in das Innere des Zeltes gerichtet. Es war wohl ein Mann. War er gekommen, um jemanden abzuholen? Es war mir, als sei das, was ich sah, außerhalb der Zeit. Zwar in diesem Wald und doch nicht von hier. Mir schien, als hätte ich zu diesem Geschehen  keinen Zugang. Meine Ahnungen kamen zu dem Schluss, dass dieser Mann wohl die Rettung war. Für wen auch immer. Aber doch die Rettung. Ich wollte es so. Es war meine Hoffnung.

Bis ich an irgendeinem späten Februarnachmittag, ich hatte in Kladow eingekauft, zur Bushaltestelle ging. Da standen ein paar Leute und in dem Bushäuschen saß jemand. Saß da, als wolle er nicht gesehen werden. Der Kopf nach unten. Alles an ihm war dunkel. Verloren. Nicht von hier. Doch er saß da. Ich sah hin. Die Kapuze seines Pullovers über den Kopf gezogen. Die braune Jogginghose war an beiden Seiten bis über die Kniee aufgerissen. Das sah ich, als er wie ich in den Bus einstieg. Ganz hinten. Er drückte sich in den Sitz. Seine Maske war erdbraun. Schmutzig.

Ich begriff augenblicklich: Das war der Mann aus dem Zelt! Er war es. Nur er konnte es sein. Nein, er war keine Rettung gewesen. Er brauchte Rettung. Ich stieg zwei Stationen später aus. Ich schämte mich. Schämte mich für das Leben. Schämte mich für mich selbst. Ich hatte nicht gefragt, ob er Hilfe brauche. Nichts. Gar nichts. Nur mein Mitgefühl war da. Ich hoffte für den Menschen. Hoffe.

Und noch einmal sollte ich seinem Schicksal begegnen. Wieder war ich zu Fuß unterwegs. Es war nun Mitte März. Ich ging zur Corona-Ambulanz auf dem Gelände der Havelhöher Klinik. Trat durch das Tor des unteren, hinteren Eingangs. Vom Wäldchen her. Und da sah ich es am Wegrand! Das Zelt! Wieder erschrak ich. Trat näher. Da war kein Mensch mehr. Es beruhigte mich. Da lagen ein paar vergessene Sachen, die wohl niemand mehr brauchte. Der Wind musste diese letzte Behausung umhergetrieben haben. Vom Hügel hierher. Da liegt sie nun am Wegrand wie ein für immer gestrandetes Wrack.

Es bleibt die Scham.

© 2. April 2021 · Heidrun Adriana Bomke

 

 

April in Kladow – für Mascha Kaleko

Mascha Kaleko

April in Kladow – für Mascha Kaleko

Die Gänse schnattern früh am Morgen
sie hatten wohl ne tolle Nacht

Ich jedoch bin aufgewacht
mit Kopfschmerz, ein paar Sorgen
und hab mir einen starken Kaffee gemacht

Ein Mann kam mich heut Nacht besuchen
im Traum versteht sich war er da
war gar nicht schlecht der Kerl
doch allzu kopfgesteuert
Ich hab ihn aus dem Bett gefeuert!

Bin ganz alleine aufgewacht
das Resultat so mancher Nacht

Der Tag scheint trüb
die Vöglein singen wie Morgenflöten wunderbar
Forsythiengelb und Knospenspringen

Ich werd jetzt meinen Kaffee trinken

Es ist April in Kladow
für mich zum ersten Mal.

Berlin, Kladow am 4.4.20

Mascha Kaleko, die so lebendig schöne, mutige, verspielte, berührende Dichterin der 20er und 30er Jahre, verbrachte 18 Frühlinge in Kladow, am südwestlichen Rande Berlins. Dort schrieb sie auch ihr Gedicht “Souvenir à Kladow”, das mit dem Vers endet: Ich denke oft an Kladow im April.
Und ich widme ihr nun mein Gedicht.

Wie oft gehe ich ihn – und nicht umsonst wurde mir dieser Weg geschenkt – der
MASCHA-KALEKO-WEG, der Dichterweg am Waldrändchen, an der Havel.

Mascha Kaleko erkor sich als Heimat die Liebe – JA! Wie auch anderes.

©Heidrun Adriana Bomke,
Dichterinfreundin von Mascha Kaleko
geschrieben am 4.4.20 in Kladow