montags, 7., 14., 21. und 28. Dezember 2020, jeweils 19 Uhr
Liebe Menschen,
für noch mehr Herzlichkeit und Verbundenheit in der heiligen Zeit dieses besonderen Jahres 2020 gestalte ich vier DEZEMBER-LICHT – LESUNGEN via zoom für Sie und Dich.
Aus der Schönheit des Augenblicks lese ich: licht, inspirierend, hoffnungsvoll, tröstend, erwartungsfroh, ermutigend und ganz lebendig!
Wie ich saß und weinte … ein Moment von größter Schönheit
Es war an einem Februarmorgen im Jahr 2011.
Vielleicht war es der 11. Ja, es könnte sein.
Am 8. Februar, drei Tage vorher, war ich in Dannenberg beim Notar gewesen. An einem nassgrauen Tag. Ein Haus zu verkaufen. Das Haus, in dem ich ein Familienleben verbracht. In dem ein Familienleben so, wie es einmal war, auch geendet. Die Zeiten wandeln sich. Die Menschen mit. Schulden werden getilgt sein. Verletzungen langsam heilen. Vergebung geschieht. Ich höre gerade noch einmal die Stimme des Notars, sehe seinen Blick: “Wollen Sie den Kaufvertrag wirklich so unterzeichnen?” Ja, ich wollte. Ohne zu zögern. Das sagte mir meine innere Stimme. Auch wenn ich Geld verlor, weil der andere Mensch, der da noch mit mir saß, es zu diesem Zeitpunkt nicht besser vermochte: gerecht zu teilen. Ich sah seine Unfähigkeit, seine Angst. Wovor auch immer. Sah sogar sein schlechtes Gewissen.
Und saß nun auf der Terrasse des kleinen Hotels “Eden Riviera” an der Zyklopenküste Siziliens, oberhalb des ehemaligen Fischerortes Aci Trezza. Am 11. Februar 2011
Eine so freundliche Frau brachte mir einen Cappuccino. Ich schaute in die Morgensonne. Schaute auf die Küste. Ich sah diese Steine im Meer. Sah diesen einen, den ich später in einem Gedicht den “Weisen Hüter der Küste” nennen sollte. Doch jetzt sah ich ihn zum ersten Mal. Und weinte. Weinte und weinte. Ein Mensch fragte mich, was sei. Ob es mir nicht gut ginge? Unter meinen Tränen lächelte ich aber. Ganz tief von unten stieg etwas auf. Das sah er vielleicht auch. Ich sagte mit sehr leiser Stimme:
Nein, ich bin sehr glücklich.
Ich weine vor unendlicher Schönheit.
Es ist kaum zu beschreiben und schon gar nicht zu analysieren, was mir geschah. Und das soll es auch nicht. Auszusprechen ist es nun schon. Mit der Poesie des Herzens, aus meiner Seele. Mein ganzes Alles und alles Ganze, dies Alles floss zusammen in dieser unendlichen Schönheit dieses großen einfachen Augenblicks.
Ich fühlte die Schönheit des Lebens.
Und fühlte tief befreiend und dankbar:
Sie war für mich da! Eine große Freude durchfloss mich.
Und die Schönheit war auch in mir.
Gestern, am 18.3., dachte ich einmal wieder an die Autorin Christa Wolf. Es war ihr Geburtstag – am 18.3.1929 ist sie in Wartenberg geboren – und irgendwie hat es sich mir tief eingeprägt, dieses Datum.
Mir, dem Thüringer Kind, dem Mädchen aus Ostdeutschland, der DDR-Frau- und späteren Literaturwissenschaftlerin, Biografieforscherin, heutigen Autorin und Lebensreisebegleiterin.
Ich habe meine literarische Sozialisierung genauso mit Christa Wolf erlebt wie mit Grimms Märchen und Tolstois Anna Karenina und Zolas Nana und Ditte Menschenkind und dem Meininger Theater und Tschingis Aitmatow … den Volksliedern meiner Vorfahren, den Weihnachtsliedern und den kleinen Gebeten am Abend, Goethes Osterspaziergang und Scholochows Menschenschicksal … – und eben sie.
Christa Wolf – Berührung
Ja, es berührt mich etwas im Innern, wenn ich an die Autorin denke, die ich auch persönlich kannte. Sie hatte eine Eigenschaft, die ich sehr schätze: Wahrhaftigkeit. Die Suche nach Authentizität in ihrem Schreiben – sie sprach von “subjektiver Authentizität”. Ein Jahrzehnt schon habe ich ihre Bücher nach Jahren der Vermittlung in Lehre und Forschung zur Seite gelegt, verschenkt …, doch ein paar sind noch in meiner Reisebibliothek. Letztmalig sprach ich zu ihr an der Universität von Catania (Sizilien) – es war im Juni 2012. Da war sie bereits ein halbes Jahr tot, die weltbekannte deutsche Schriftstellerin Christa Wolf. Wer mag, schaue einmal auf meine Vortragstätigkeit. Manchmal braucht es Pausen. Auch das Vergessen. Neues nimmt Platz, so viel Südliches, Italienisches, Sizilianisches … – und ich spüre, dass auch sie nochmal und anders Platz nehmen wird in meinem eigenen Schreiben, das auch ein Erinnern einschließt. Ein Neu-Sehen.
Ich erinnere heute vor allem ein Buch, das mich sehr früh berührt hat:
Nachdenken über Christa T.
Eigentlich ein melancholisches Buch, wie viele ihrer Bücher, die sie im Balanceakt zwischen eigenen Erfahrungen und eigenem Erkennen sowie einer großen Utopie geschrieben hat.
Christa T. – da bläst eine junge Frau Trompete, findet ihren Ton. Entdeckt sich als einzeln, besonders – sie wird krank werden und sterben. Doch man vergisst sie nicht, wenn man das Buch einmal gelesen.
Ich war Studentin der Germansitik und Slawistik. Da klang etwas in mir an, das gesellschaftlich nicht verordnet war – dieses individuelle Lebensgefühl. Es gab im philosophischen Wörterbuch der DDR das Wort Individualität zu dem Zeitpunkt nicht. Da keimte etwas in mir auf … heute steht es in voller Blüte:
Das Eigene – Die Poesie des eigenen Lebens
Und ich entdeckte gestern beim Blättern in meinen eigenen vielen Texten, dass ich seit 2004 einen Text zu Christa Wolf geschrieben – eine Collage, wenn man so will – eine Textmontage aus vielen ihrer Bücher, aus eigenen Gedankenfetzen. Und ich habe sie sogar in Sizilien 2011 ergänzt und bin Christa Wolf in Gestalt einer Ausstellung vn Arbeiten der Künstler, die ihre Werke illustrierten oder Eigenes dazu schufen, dann 2015 im Tucholsky-Museum in Rheinsberg wieder begegnet. Unverhofft.
In Erinnerung blieb mir das Gefühl, dass Wolfs Bücher und diese Kunstwerke zu meiner Geschichte gehören. Sie beschweren mich nicht mehr – sie sind.
Und ich habe die Illusion der Vollendung abgelegt, dieses Große, Allwissende, auch Dominante, Bessere … – alle Utopien. Nein, danke!, das sage ich laut und deutlich.
Machen wir menschliche Entwürfe von uns selbst – wagen wir lebendig und friedvoll zu sein
Hier könnt ihr ihn lesen, meinen Text zu Christa Wolf (einfach klicken):
Tret ich in mein Zimmer ein Spür ich einen hellen Schein Lausche ich dem Herz ganz still Was es mir nun sagen will.
Mein Gedicht von 2015 heißt “Berührung”.
Ich “kramte” es eben aus meinem poetischen Schatzkästlein hervor, als ich den Weihnachtsbrief von Gerald Hüther las. Das Wort Berührung fiel in mein Herz. “Es” berührt mich selbst. In “mein Zimmer eintreten” – bei mir, in meinem inneren Kämerchen ankommen. Da geschieht Berührung. Und ich kann diese Berührung in Worte verwandeln, in Bilder. Woher die Worte kommen, das ist auch ein Stück Mysterium, das ich für mich ergründe. Das ist mein Herzensweg, mein Herzstück – die Poesie, die berührt, einen Raum der stillen Verbundenheit schafft und anregt.
Berührung erleben
Mit Gedichten. Mit Poesie. Die Worte sprechen, flüstern, schreien, erschrecken, erzählen, leuchten, weinen, haben Sehnsucht, lieben, wachen auf, legen sich mit der Abendsonne zu Bett, tragen manchmal eine große Stille in sich; sie umarmen Bäume und legen sich auf die Erde, sie spüren den Atem der Erde … – ja, sie haben in sich all diese Lebendigkeit und Weite des Lebens und so wohnen sie in mir, in uns, um uns herum und können berühren. Gedichte. Meine Gedichte.
Nähe
Im warmen Lächeln meiner Hat Atmet der Duft der Liebe.
Ich gebe meine Gedichte auf den Weg zu euren und Ihren Herzen.
Manchmal sprechen Zuhörerinnen und Zuhörer von Magie, wenn sie meiner Lesung lauschen. Da passiert etwas zwischen uns und mit den Worten und Herzen. Berührung geschieht. Es ist wahrhaft einfach und doch lange nicht mehr so leicht. Manchmal schrecken Menschen auch vor mir und meinen Worten zurück. Als wären sie eine Gefahr. Vielleicht sind sie das auch in diesem Augenblick. Die Gefahr, sich selbst plötzlich wieder fühlen zu können. Der Panzer, das Korsett, das doch so fest gefügt und für immer halten soll, bekommt einen ganz kleinen Kratzer. Einen Riss. Es möchte aufspringen, vielleicht? Angst vor den eigenen Gefühlen. Bei meinen Schreibbegleitungen darf sie sich ganz leicht lösen.
Das Wagnis der Berührung mit sich selbst
Dieses tiefe Spüren im Innern. Das Herauskommen aus dem äußeren Rennen, den Räumen der Routine, dem Lebens-Muster, das vermeintlich Sicherheit und Struktur gibt; ein bisschen heraus aus dem, “was so sein muss”, was doch immer so war und so bleiben soll. Was Gewinn und Prestige verspricht oder was auch immer. Auch wenn darunter, wie unter etwas Eis und Schnee, der in der Frühlingssonne taut, ein kleines Pflänzchen gedeihen möchte. Doch wie wird es aussehen, riechen, was wird daraus? Also bitte, die Kruste muss besser bleiben. Auch wenn sie uns selbst ins Fleisch schneidet. Vielleicht ist es manchmal wie der Eissplitter im Herzen des kleinen Kai im Märchen von der Schneekönigin, die den Jungen mit ihrem kalten Kuss fast tötet. Er spürt es jedoch nicht. Unsere Kälte hat andere Namen: Hetze, Wachstum, Gewinn, Besitz, Konsum, die dunkle Gewalt der Medien … – jeder kann es für sich herausfinden. Manchmal wächst daraus eine kleine Kruste über dem Herzen, manchmal ein Korsett, manchmal ein richtiger Panzer, den man sich zugelegt, um alles darunter nicht spüren zu wollen, zu müssen. Oder um der sein zu können, der man meint, sein zu müssen. Für eine Zeit kann das so sein, doch irgendwann holen einen die Gefühle ein.
Sie gehören doch zu dir, zu mir, zu jedem: Unsere so wertvollen Gefühle. Die manchmal ganz leise Stimmen haben: “Hör mir zu, hör hin, liebe Adriana, lieber … ich möchte dir etwas sagen!”
Selbstschutz – Schutz vor sich selbst?
Und oft gebieten wir ihnen, bloß jetzt den Mund zu halten. Jetzt ist nicht der Moment und jetzt ist es nicht zu ertragen und unpassend. Denn da kommen Tränen und Schmerz steigt auf – wer will den schon aushalten, so alleine? Und was sollen denn die anderen Menschen sagen? Wir schützen uns vor uns selbst. Wie schade, fühle ich. Wie schön und berührend ist es doch für mich, wenn sich ein Mensch zeigt, wahrhaft zeigt, mit seinem Herzen und ich ihn wahrhaft fühlen kann. Auch mich selbst. Das ist oft schwer auszuhalten und doch macht es mich und uns dann leichter, offener, selbstvertrauter, ehrlicher, wen wir es zulassen.
Ich schätze meine Tränen. Sie sind der Regen meiner Seele. Sie lösen und öffnen mein Herz.
Als kleines Mädchen habe ich wohl viel bzw. sehr leicht geweint. Ich erinnere sehr gut den Satz:
“Du hast zu nah am Wasser gebaut. Sei nicht so empfindlich!”
Ich fühlte mich manchmal seltsam, alleine. Heute weiß ich, dass ich mich vorbereitet habe, alleine sein zu können und alles fühlen zu dürfen und auch auszuhalten, um mich selbst tief zu entdecken, zu erleben. Schon als Kind fand ich Worte, fanden mich die Worte und die Bilder, die mir Trost geben konnten. Da gab es das Christkind und die Birken, Lärchen, Buchen und Tannen, die mich grüßten; das Weizenfeld mit Kornblumen, Mohn; die Wiese mit Schlüsselblumen und Gänseblümchen und Eier-und Speckblumen; die Lupinen, die mir mit ihren lila Köpfchen zunickten; ich rieche ihn noch, den Duft der Erde an meinen Händen, wenn ich Kartoffeln erntete; das Heu mit seinem Duft und seinem Pieksen auch und die Hündin Blanca, mit der ich in die Hütte kroch und die Märchen, in denen ich mich wiederfinden konnte und das Lied “Vom Himmel hoch, da komm ich her” – eine Welt, die mir nahe kam, die mich irgendwie auch verstand. Sie hatte etwas mit meinen Gefühlen dazu. Heute sage ich: Ich fühlte Liebe mit all dem. Sie begleitet mich im Herzen, auch wenn ich den Orten entwachsen – sie ist da. Und manchmal komme ich an fremde Orte und sie wächst, diese Liebe.
Und ja, ich habe gelernt, meine Tränen sehr zu schätzen. Da sucht “etwas” einen Weg aus mir heraus. Ist geschmolzen wie Eis. Der Druck hinter dem Herzen weicht auf.
Tränen sind für mich der Regen der Seele.
Tränen fließen. Berührung geschieht. Mit sich selbst. Mit dem Regen der Seele.
Ich kenne es vom Schreiben mit Menschen. Manchmal fließen sie heraus wie ein großer Strom, manchmal kommen sie zaghaft, denn sie waren schon fast vertrocknet. Ausgetrocknet ein bisschen wie das Innere. Oder sie waren verschlossen in einem tiefen Brunnen, der sich öffnen darf. Wie im Märchen – Verwandlung beginnt.
Im zarten Morgenlicht fließen Tränen über mein Gesicht noch drückt mein Herz noch fühl ich Schmerz Im zarten Morgenlicht fließen Tränen über mein Gesicht.
Juni 2017
Immer ist es der Beginn der Öffnung – sich berühren lassen und Gefühle zulassen.