Bei R.M. Rilke auf dem Chateau de Muzot

Chateau de Muzot

Bei R.M. Rilke auf dem Chateau de Muzot

Chateau de Muzot – das klang mir immer schön im Ohr. Nach dieser so friedlichen Begegnung am Grab wollte ich nun spüren, wo Rilke seine letzten Jahre von 1921-1926 verbracht hatte. Der Weg von Raron nach Muzot. Nur eine Station mit der Bahn. Aussteigen in Sierre / Siders. Dort gibt es die “Fondazione Rilke” und ein Museum. Mich interessiert das Steinhaus, der Turm, wo er wohnte bis zum Dezember 1926. Zeitweise mit seiner Freundin Baladine Klossowska und deren Söhnen.

Ich gehe die Straße nach oben in Richtung Veyras.

Die junge Frau im Touristenbüro sagt, dass es ein Fußweg von ca. 30 Minuten ist, es ginge auch ein Bus. Das Grundstück sei privé. Ich möchte nur die Atmosphäre wahrnehmen. Ich fühle ja selbst schon lange, wie Landschaften den Schöpfergeist beeinflussen. Dieses Ineinandergehen von Schöpfung!
Also gehe ich immer die Hauptstraße nach oben. Um mich herum zur Rechten unglaublich schöne Berge!

Die Walliser Alpen!

Im Licht reiht sich einer nach dem anderen auf und immer scheint noch ein höherer mit Schnee bedeckt aus dem Hintergrund hervor. Diese Berge strömen Weite aus und sie haben irgendwie eine magische Anziehung. Zu meiner Linken Weinberge über Weinberge. Wo bin ich nur? Im Wallis, wo kleine alte Häuser stehen mit kleinen Fenstern und viel Holzfassaden und neue moderne Häuser auch. Es ist schon südlich hier – ein bisschen “Piazzagefühl” kommt in mir auf. Ich laufe froh weiter und frage nochmal Bauarbeiter. Gebaut wird viel. Sie kommen aus Mazedonien und sprechen französisch. Mein Italienisch hilft etwas. Also immer hinauf. Links um die Kurve. Dort kommt mir eine charmante Frau entgegen, die ich nochmals nach dem Chateau Muzot frage. Sie spricht auch etwas deutsch und sagt, dass es nach dem Kreisverkehr gleich nach rechts gehe und ich sei dann da. Doch es sei eben privat – privé.

Chateau de Muzot
Eingang Chateau de Muzot

Kommen Sie doch mit in den Garten!

Ich sehe den Steinturm. Wie ein Quader. Ein altes Steinhaus mit einem Holz-Balkon. Ich kenne es von den Fotos. Rilke und seine Geliebte auf dem Balkon in meiner Fantasie.

Rilke in Muzot
Rilke auf dem Balkon in Muzot

Heute ist der Balkon leer. Auf dem Weg darunter sind Tafeln aufgestellt und informieren über den Dichter. Ich gehe zum Tor und da steht, wie erwartet, das Schild privé. Ich sehe Bäume in Blüte und einen schönen Garten. Setze mich auf die Wiese hinter dem Haus und genieße den Blick … Kämme mich, trinke Wasser und freue mich. Mache ein Selfi aus lauter Lust – es geht mir so richtig gut hier. MuzotPlötzlich Geräusche hinter mir. Da kommt ein Mann und bringt Gartenabfälle. Schaut mich freundlich an und fragt etwas, wiederum französisch … – ich spreche italienisch und wir verstehen uns. Ich erzähle, warum ich da bin und da sagt er:

Komme doch einfach mit in den Garten, da kannst du alles besser sehen!

Voilà, das Leben beschenkt mich wieder!

Wir schlüpfen durch eine kleine Seitengartenpforte ohne das Schild prive.
Wie gut, dass ich mich vorher gekämmt habe! Nun stehe ich unter dem Rilke-Balkon.
Miguel ist der Gärtner. Vielleicht in meinem Alter? Doch seit ich über 50 Jahre bin, kann ich das nicht mehr recht einschätzen … – Er ist ein überaus charmanter und liebenswürdiger Mensch, der mich einfach spazieren lässt und seine Arbeit weitermacht.

Chateau de Muzot

 

 

 

 

 

Ich stelle meine Sachen ab und gehe in jeden Winkel des Gartens. Da gibt es diese bemooste Bank in einem Winkel – da saß sehr lange niemand. Dann der Ginkgo-Baum, 100 Jahre alt …

“Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen … doch probieren will ich ihn …!”

Ginkgo in Muzot

 

Muzot-Garten

Miguel kommt zu mir. Wir schauen beide in die Berge und ich frage, wie hoch die sind.

Über 4000 m! Mindestens 3.500 – ich staune weiter. Majestäten, so nehme ich sie wahr. Wie schon in Raron, wo einer der Berge ein Bärengesicht hatte. Miguel erzählt mir auch, wem das Anwesen heute gehört: Reinhart von Winterthur. Und dazu gehören auch all die Weinhänge und viel des umliegenden Landes. Die Familie komme wenige Zeit im Jahr, manchmal kämen Freunde. Der sehr sympathische und interessierte Miguel fragt mich noch, wo ich die Nacht schlafe … – ich lächle und sage ihm, dass ich wieder zurückfahre … – vielleicht sollte ich spontaner sein? Der Gedanke amüsiert mich  …

Wir verabschieden uns mit “tutte cose belle” – jaja!

Ich gehe wieder durch das kleine Gartentor hinaus. Er winkt nochmal und gießt weiter. Gegenüber ist die kleine Kapelle St. Agnes.

Rilke soll sie einmal finanziell unterstützt haben. Oder einer seiner Mäzene. Auch das muss man erstmal können, sich so durchs Leben bringen, ohne Furcht und Skrupel, denke ich und sehe den Dichter noch einmal vor mir auf dem Balkon. Chapeau, chapeau!

Ich gehe langsam die Straße nach unten. 

Sehe, wie gegenüber auf den Serpentinen Autos den Weg nach oben finden. Im Winter muss das gefährlich sein. Doch jetzt ist Frühling – es ist südlich warm und überall wird der Wein gepflegt. Trocken muss es hier sein, so mit diesen vielen Bergen. Vor mir spaziert ein älterer Herr mit Stock.  Ein Bonjour, das ich erwidere. Flanieren, das geht mir nach – ich bin eine “Flaneuse” oder auf dem Weg dahin!
Ich werde wiederkommen und sicher nicht alleine! Und ich werde nun endlich französisch lernen – mit dem Italienisch im Gepäck geht es leichter!

Wieder hat sich etwas Neues aufgetan. Nur Mut.
Ja, man weiß, wohin man gehen soll, im Innen und Außen, indem man geht!

Heidrun Adriana Bomke, die reisende Autorin mit dem Übermut! · 17.4.19

 

 

 

Zum Grab von R.M. Rilke in Raron

Zum Grab von R.M. Rilke in Raron im WallisHeidrun Adriana Bomke · Poesie des Lebens

Gestern, am späten Vormittag des 17. April 2019, kam ich mit meinem Begleiter aus Luzern in Raron im Wallis an. Lange hatte sich dieser Besuch im Innern in mir vorbereitet. Nun ging ich endlich auch im Außen auf die Reise zur letzten Heimat des Dichters.

Die Fahrt nach Raron

Früh mit der SBB in Luzern los. Luzern Ich fahre durch die Schweiz. Draußen fliegt nasses Frühlingsgrün vorbei. Stromleitungen, Industriebauten auch hier. Ein Tunnel. Kühe, denen die Knochen fast aus der Haut treten. Nochmal Tunnel … Mein Kopf saust. Jetzt Felder mit Stoppeln und rotbrauner Erde. Weidenkätzchen und weiße Blüten. Vielleicht Kirschen. Ein Silo. Ich rolle. Draußen ein Mann mit Hund. Ich lege den Kopf an die Scheibe und für ein kleines Weilchen auch in meiner Erinnerung auf die ruhige Brust meines Geliebten … auch ein Kraftort.
Fallenlassen alle Wertungen – einfach fahren. Gegenwärtig. Ich schreibe Haikus

Weites grünes Land
weiße Spitzen huschen und
Hunde hüpfen froh

Um zu erfahren, wohin du gehen sollst, musst du gehen, sagte jemand. Ja, so ist das für mich.

In Bern umgestiegen und ab da gestaunt, ja gewundert …

über die Berge, das Grün. Berner Oberland. Dann in Thun. Erinnerungen. Da war ich schon einmal mit meinem jüngeren Sohn und mit Freunden vorbei gefahren. Wir waren im Ski-Urlaub in Saas da Grund. Wann war das? 2001? Eine glänzende Erinnerung steigt aus dem Schatzkästlein meines Lebens in mir hoch. Wieder sehe ich die silbern glänzende Landschaft um uns herum. Fast entrückt kam sie mir vor. Märchenhaft transzendent. Ich sagte damals zu Max den Satz:

“Hier müssten wir aussteigen und bleiben.”

Und er:

“Warum machen wir es nicht?”

Das war eine sehr weise Frage. Damals habe ich wohl geantwortet:

“Wir müssen nach Hause, du hast Schule und ich muss arbeiten. Der Urlaub ist zu Ende.”

Oder sagte ich gar nichts und wir verstanden uns auch so? Heute, was würde ich heute tun, wenn damals heute wäre? Spekulation. Vermutlich gingen wir beide aus dem Zug und schauten uns um …
Wie schön, dieses poetisches Schatzkästlein meiner Lebensreise, das sich heute weiter füllen wird mit liebevollen Augenblicken, mit Weite und Feinheit und Tiefe. Mit Natürlichkeit und unglaublichem Frieden.

In Bern setzt sich eine Frau zu mir.

Leider kann ich sie kaum verstehen. Berner Dialekt. Sie lächelt etwas über mein Staunen und freut sich irgendwie mit. Die Aare fliegt vorbei. Überall Flüsse.

Sie erzählt, dass sie sieben Jahre im Wallis gearbeitet hat und mindestens einmal im Monat zurückkehren muss. “Das Wallis hat fast immer Sonne”, so sagt Olga. Sie liebt diese Landschaft. Wir verstehen uns irgendwie sofort. Wieder eine solche Augenblicks-Begegnung. Dann erzählt sie von der Alm, sie ist Almerin von Juni bis September. Harte Arbeit, die sie noch zwei Jahre machen wird. Dann pensioniert. 34 Kühe und 1 Stier. 7 Ziegen, vor allem zur Freude der Familien mit Kindern. Schafe und Käse und zwei junge Helfer. Sie wirkt rundlich, fast ohne Falten und ganz froh und zufrieden. Tut gut diese Frau.. Wir fahren an Spiez vorbei bis Visp. Sind schon im Rhonetal.

Rilke-Grab Raron
Rhonetal bei Raron

Dort steigen wir um und es geht genau eine Station zum Rilke-Ort Raron. Dort ist hoch oben sein Grab.

Rilkes Grab an der Kirche von Raron
Rilkes Grab an der Kirche von Raron

Angekommen in Raron

Ich stehe auf dem Perron. Hinter mir rollt es. Ich drehe mich um und mich durchfährt ein Riesenschreck: Lauter Panzer rollen durch diesen kleinen Ort, Richtung Süd. Panzer mit Tarnnetzen überzogen. Das will  nicht in mein Bild passen! Und ist doch da. Diese Parallelität des Lebens. Ich sage es laut: “Panzer! Hier!” Mein Begleiter sagt, wohl witzig gemeint: “Mit den Deutschen kommen gleich die Panzer.” Ich schweige, versuche, es durch mich hindurchlaufen zu lassen. Für einen Moment denke ich: “Heini.” Dann lasse ich es sein mit dem Werten … – hat alles seinen Sinn, das glaube ich. Als Rilke 1921 ins Wallis kam, hatte er den 1. Weltkrieg erlebt. Alle diese Schrecken und Demütigungen. Hier suchte er Frieden und erlebte erneut Schöpferkraft. Vollendete die “Duineser Elegien” und die “Gedichte an Orpheus”. Hier, an der alten Kirche von Raron, hat er zuerst das Licht und den Wind der Walliesischen Landschaft erlebt. Hier möchte er begraben sein. Was dann am 2. Januar 1927 bei eisiger Kälte geschieht. Am 28.12.1926 starb er.

Rilke-Gran
Rhonetal Raron

Ich gehe nun gegen 11 Uhr über die Brücke der Rhone. Eingebettet im Tal zwischen wundervollen Bergen auf der einen Seite und dem Dorf mit den steinigen Hängen auf der anderen. Beim Bäcker einen Cappuccino und eine Schnecke. Ehe ich den Mund aufmachen kann, hat die junge Frau schon einen Haufen Kakao auf den Kaffee gekippt. Ich mag das nicht! Nehme die Tasse trotzdem und sage draußen in der Sonne: “Ich mag das nicht! Ich habe doch Cappuccino und nicht Schokolade bestellt!” Mein lieber Begleiter protestiert sofort und klärt mich auf: “In der Schweiz ist das eben so. Du bist in der Schweiz, in einem anderen Land!” … und so zeigt sich wieder einmal, wie schnell man ins Missverstehen kommen kann … Ich mag doch auf der ganzen Welt keinen Cappuccino mit Kakao!

Nun den Berg hinauf zu Rilkes Grab

Ich spüre bei jedem Schritt, dass es wunderbare Augenblicke sind – der rechte Moment, wie man so schön sagt: Frühlingserwachen mit so viel Himmel und Weite – dieses poetische Leuchten des ewigen Lebens! Mein Inneres verbindet sich mit der landschaft, die Gedanken gehen. Und ja, ich gehe alleine, habe meinem Begleiter gebten, dass wir getrennt gehen. Ich brauche diese Muße für mich. Seit zwei Jahren lese ich noch einmal intensiv den Dichter und er wird mir mit seinen Worten Begleiter. Dieses ” es geht darum, alles zu leben …” – er hat über den Wandel geschrieben, er hat ihn tief erfahren, den so ungewissen künstlerischen Weg. Und er hat sich auch immer wieder gerettet, indem er zu sich selbst hielt.

Und dann komme ich oben an einen Kraftplatz; Besser: an einen Friedensort. Noch jetzt, beim Schreiben, strömt es in mir. Unbeschreibbarer Frieden.

Rilke-Grab Raron
Am Rilkegrab · Foto: Schuler
Rilke-Grab mit Rosen
Rilke-Grab mit Rosen
Rilke-Grab
auf dem Weg zum Friedhof
Rilkes Grab

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als dann noch ein Gleitschirm über mir schwebt in dieser Landschaft, da durfte ich den Weltinnenraum (Rilke) noch einmal spüren:

Wo nach Rilkes Auffassung das Selbst wie ein Vogel zwischen Himmel und Seele fliegt.

Raron Rilke
Schweben im Tal von Raron

 

Ich wünsche allen Frohe Ostern mit einem bunten poetischen Osterspaziergang und einer Auferstehung – immer wieder!

OSTERSPAZIERGANG

© Heidrun Adriana Bomke, die reisende Dichterin

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