Vom Wunsch zu wirken – eine Berliner Straßenbetrachtung

Heidrun Adriana Bomke

Als ich heute den Kladower Damm in Berlin entlangging, da kam mir diese Wortgruppe in den Sinn:

Vom Wunsch zu wirken

Sie berührt mich. Berührt mich tief. So tief, dass mir bein Gehen an diesem frostelig-klaren Wintermorgen die Tränen kamen. Tränen der Wahrheit. Nicht ohne Grund.
Wie es manchmal im Leben so ist, sagt “jemand” in einem bestimmten Moment einen Satz, den wir schon lange kennen. Unsere innere Stimme hat ihn schon leise formuliert. Manchmal auch schon deutlicher. Mir kam er auch schon über die Lippen und nicht nur das. Doch dann rückt er in die Ferne, entfernt sich. Bis er sich wieder bemerkbar macht. Im Gegenüber, als Spiegelbild.

Die Ärztin vor mir sagte: Weiblichkeit ist auch anders gemeint. Ich glaube nicht, dass alle Frauen Kinder bekommen sollen. Es geht doch um dieses ganze Weibliche … viel mehr.
Ich sagte: Um das schöpferische Gebären, Kreieren, nicht?
Ja.

Und daraus wurde ein Gespräch und dann beim Spaziergang ein Gespräch mit mir selbst und der Satz:

Vom Wunsch zu wirken

Gebären, sich gebären, und Wirkenwollen gaben sich in meinem Geiste die Hand. Wirken als geistige Ausstrahlung. Für mich als Künstlerin ist es das Essentielle am Sein. Ja, es ist ein tiefer Wunsch, geistig zu wirken. Wirken, bewirken, Gewirke … ich schaue nach: Wirkware (gegenüber Strickware)/Herstellungstechniken … – das finde ich interessant. Masche für Masche, in einem industriellen Prozess … da sind wir wieder bei der Materie, dem Greifbaren.

Ich denke an meine Bücher.

Wirken sie? Schon, indem sie da sind, höre ich jemanden sagen. Ja??? Ich höre meiner Stimme zu. Ein Stück schwingt leise Trauer mit, wie ich da so gehe. Manchmal tun sie mir leid, meine Bücher. Meine Bücher in dem Meer von Millionen …? Amazon und co … da gehören sie nicht hin, meine Worte. Ist das nicht überheblich? Nein, ehrlich. Diese Worte im Milliardenmeer der Worte. Dieser Blog, diese Newsletter, diese diese diese? Wirkungslos? Ich weiß es nicht. Wirkungslos?

Aber geschöpft!

Das sagt mein Geist, das sagt auch der Weltengeist. Sie sind aus der Quelle geflossen. Sie mussten hinaus. Und müssen es. Es gibt eine Notwendigkeit. Das hat Kraft. Vielleicht ist die Wirkung nicht so wesentlich. Und trotzdem spüre ich einen leichten Schmerz.
Nein, es geht nicht vordergründig um Erfolg. Es geht um das Empfinden einer wirkenden Kraft. Ich spüre sie oft und ich spüre auch, dass es diese Kräfte in einer Welt voller Materie, vollgestopft mit Häusern, Autos, Dingen, Milliarden von Geldscheinen … nicht leicht haben. Poetische Worte, die wie ein Hauch sind, finden sie Einlass, Gehör? Lange schon beschäftigt mich das Thema. Ob in der Biografieforschung als “Gestaltwerdung”, ich forschte dazu ein Jahrzehnt, ob in meinen Geburtentexten, Poesien, ob in Büchern wie “Der Weg des Künstlers”, ob in anderen Künstlerbiografien.  Immer wieder ziehe ich meinen Hut vor Paula Modersohn-Becker mit ihrem Schöpferwillen.

Unbändig, wild, einmalig, unkonventionell. Und das schaffte nachhaltig Wirkung! Neues, bis dahin Nicht-Gemachtes – Avantgarde!

Ich denke an Joseph Beuys: Jeder Mensch ist ein Künstler. Das Bild der sozialen Plastik.
Der Mensch als Gedicht, das sehe ich oft. Als sich gestaltendes Wesen inmitten und mit anderen Wesen. Das schöne Wirken zwischen uns. Wirkt es wirklich ? Bevor ich weiter vor mich hin denke, lenkt mich ein kleiner Laden rechterhand ab. Da steht “Mini-Berliner”. Das wirkt auf mich und ich gehe hinein … und was sehe ich? Gewirke – Wirkwaren – Stoffe laden mich zur Begutachtung ein! Vielleicht muss ich einmal alles gründlich vergessen … ganz unbändig mich verwandeln … ist ja bald Fasching!

©Heidrun Adriana Bomke, 24.1.2020